Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Ortsgruppe auf den Fildern

Flughafentunnel Stuttgart

Flughafentunnel Stuttgart © Ines Rudel

Flughafentunnel Stuttgart

Der Tunnel, der unter dem Flughafen Stuttgart hindurchführt, ist seit mehr als 40 Jahren für Menschen, die dort auf dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind, ein Nadelöhr, Hindernis und Ärgernis zugleich. Eine Lösung scheint so nah und doch so fern!

Status Quo: Katastrophe für den Rad- und Fußverkehr

Wer zwischen Stuttgart-Plieningen und Filderstadt-Bernhausen mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sein will, braucht gute Nerven, Mut oder viel Zeit für Umwege. Die direkte Verbindung durch den Flughafentunnel ist für Radfahrende und Zufußgehende bisher eine Zumutung. Auf einem ein Meter breiten gemeinsamen Geh- und Radweg, der damit jedem Regelwerk und Standard des Rad- und Fußverkehrs widerspricht, ist ein gemeinsames, rücksichtsvolles Miteinander gar nicht möglich. Begegnen sich auf diesem handtuchbreiten Weg zwei Radfahrende - oder eine Fußgängerin/ein Fußgänger trifft auf eine Person auf dem Rad, ist Kreativität und Verhandlungsgeschick gefragt: Wer tritt freiwillig den Rückweg an und macht so den Weg frei für die entgegenkommende Person? Oder kann das Fahrrad über die entgegenkommende Person gehoben werden? Selbst Begegnungen von Fußgänger*innen sind bei einem Meter Breite nur mit Bereitschaft zur körperlichen Nähe möglich. Für Personen mit Handicap, die auf Rollstühle oder Spezialräder wie Dreiräder angewiesen sind, oder Personen mit Lastenrädern und Kinderanhängern am Fahrrad ist die schmale Tunnelpassage nicht nutzbar. Sie müssen draußen bleiben und das Flughafengelände oberirdisch weiträumig umfahren. 

Wenn das Umfahren so einfach wäre, würden wahrscheinlich viele Radfahrende auf eine Tunnelpassage mit Abgas-Inhalation verzichten. Aber die Alternativstrecken sind nicht nur deutlich länger (ca. 10 Minuten Zeitverlust), sie führen auch über meist verdreckte Wirtschaftswege, auf denen das Radfahren eher einer MTB Cross Country-Fahrt gleicht.

Es zeigt sich am Flughafenstunnel zwischen Stuttgart und Filderstadt, was eine Verkehrspolitik aus der Windschutzscheiben-Perspektive verursacht: Verkehrsrechtlich regelwidrige Infrastruktur wird jahrzehntelang geduldet. Der Weg hin zu einer Verkehrspolitik, die alle Mobilitätsbedürfnisse der Menschen berücksichtigt, ist auch im nur 500 Meter langen Flughafentunnel scheinbar unendlich weit. So werden seit mehr als 40 Jahren Änderungen und Anpassungen diskutiert und doch keine Lösung gefunden. Eine neue Machbarkeitsstudie des Landesverkehrsministeriums, die die vielversprechendsten Varianten für einen sicheren, verkehrsrechtlich einwandfreien Rad- und Fußverkehr untersucht, bringt erneut Schwung in die Debatte und macht Hoffnung auf eine baldige Lösung.

Was macht die Verbesserung so schwierig?

Doch die Lösungsfindung ist nicht leicht. Zu viele Interessen müssen abgewogen werden. Eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung als Basis der Entscheidungsfindung rückt jedoch schnell in den Hintergrund, wenn Einzelinteressen zu stark betont und in der Diskussion überhöht werden.

Um eine gesamtgesellschaftlich tragfähige Lösung für die Verbindung zwischen dem Stuttgarter Süden und der Region Filderstadt zu finden, müssen folgende Anforderungen weitgehend in Einklang gebracht werden:

  • Die Verbindung zwischen Stuttgart-Plieningen und Filderstadt-Bernhausen muss dem Prinzip "Mobilität für alle" gerecht werden. Vor allem die Nahmobilität, die für ältere Menschen, Menschen ohne Führerschein sowie Kinder und Jugendliche wichtig ist, muss gestärkt werden. Mit einem attraktiven Angebot für alle Mobilitätsformen können Menschen, die gern selbstaktiv mobil sein wollen, umsteigen und Potenziale für Verkehrsverlagerungen genutzt werden.
  • Die Tunnelpassage muss für alle Nutzerinnen und Nutzer sicher sein, damit dort Unfälle mit Toten und Schwerverletzen verhindert werden können. 
  • Die Verkehrsanlagen des Tunnels müssen verkehrsrechtlich einwandfrei sein - regelkonform und den Standards entsprechend. Dies ist für den Rad- und Fußverkehr aktuell nicht gegeben.
  • Der Busverkehr durch den Tunnel darf nicht behindert und ausgebremst werden. Längere Fahrtzeiten (durch Umwege, Wartezeiten, Stau) oder Verspätungen machen das Angebot unattraktiv und nicht akzeptabel.
  • Die Anwohnerinnen und Anwohner der angrenzenden Kommunen sollen vor Lärm und Abgasen des Durchgangsverkehrs geschützt werden. Besonders der historische Ortskern von Bernhausen ist aktuell durch den Durchgangsverkehr belastet und als Wohn- und Lebensbereich unattraktiv. Verkehrsverlagerungen dürfen Anwohner*innen nicht zusätzlich belasten, so dass Alternativstrecken Wohnbereiche vermeiden müssen. 
  • Umwege und Zeitverluste sollen für alle Verkehrsteilnehmende vermieden werden. Besonders für langsamere Verkehrsteilnehmende wie Radfahrende und Zufußgehende sind Umwege und die damit verbundenen Zeitverluste im Alltagsverkehr unattraktiv und nicht akzeptabel. 
  • Der Schwerlastverkehr vom Luftfrachtzentrum muss ungestört funktionieren. Umwege und Zeitverluste sind schädlich für den Logistikstandort. 

In dieser Gemengelage ist eine Lösungsfindung nicht einfach und scheinbar einfache Lösungen erweisen sich bei genauer Betrachtung als unvorteilhaft. Eine tiefgründige und fachlich-fundierte Betrachtung von Lösungsvarianten ist daher unumgänglich. Allerdings sollten Lösungen, die bereits einem Schnell-Check nicht standhalten, nicht mehr untersucht werden. Dies verzögert die Lösungsfindung nur um weitere Jahre oder gar Jahrzehnte. Die Machbarkeitsstudie des Verkehrsministeriums liefert wesentliche Erkenntnisse zur Bewertung potenzieller Lösungsvarianten.

Faktencheck ohne Tunnelblick

 

Variantenbetrachtung & -bewertung

Die diskuierten Varianten sind vielzählig und den Überblick darüber zu behalten, fällt mittlerweile schwer. Die vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg favorisierte Lösung, an der sich die aktuelle Diskussion rund um den Flughafentunnel entfacht hat, beinhaltet die Nutzung des Fahrstreifens in Richtung Stuttgart als Zweirichtungsradweg. 

Zweirichtungsradweg mit Einbahn-Führung für den motorisierten Verkehr

Die Tunnelfahrspur in Richtung Stuttgart könnte in einen sicheren und regelkonformen Zweirichtungsradweg umgewidmet werden. Dabei würde der motorisierte Verkehr in Richtung Filderstadt weiterhin durch den Tunnel auf dem verbleibenden Fahrtstreifen fließen - baulich getrennt vom Radweg. Der Verkehr Richtung Stuttgart wird in dieser Variante über mehrere Alternativstrecken (je nach Fahrtziel) geführt. Diese Alternativstrecken stellen keine Umwege dar und führen auch in Stoßzeiten nur zu minimalen Verzögerungen (2-5 Minuten). Die Alternativstrecken entlasten den historischen Kern von Bernhausen vom Durchgangsverkehr und führen überwiegend außerorts bzw. in Entfernung zu Wohngebieten entlang. 

Der Busverkehr würde mit Ampelschaltungen weiterhin in beide Richtungen durch den Tunnel geführt werden. Dazu muss ein von Süden kommender Bus ein Ampelsignal auslösen, dass den Verkehr von Norden stoppt und den Fahrstreifen für den Bus räumt. Damit der Busverkehr durch die Ampelschaltung nicht ausgebremst wird, muss die Anforderung des Ampelsignals rechtzeitig erfolgen, um Wartezeiten für den Bus zu vermeiden, und der Fahrplan optimiert werden.

Ein komplett autofreier Tunnel, der ausschließlich für den ÖPNV und Rad- und Fußverkehr genutzt wird, führt zu einer kompletten Verkehrsverlagerung in beide Richtungen (20.000 Fahrezuge pro Tag) auf die Alternativstrecken. Dies könnte eine Überlastung der Strecken und Staus zur Folge haben, die den motorisierten Verkehr - besonders den Lastverkehr rund um das Luftfrachtzentrum - beeinträchtigen würden.

Außerdem stellt sich die Frage, wie Radverkehr und ÖPNV durch den schmalen Tunnel auf seinen zwei Fahrstreifen geführt werden. Wird jeweils ein Fahrstreifen für einen Zweirichtungs-Radverkehr und -Busverkehr genutzt, muss der Begegnungsverkehr der Busse über Ampeln geregelt werden. Eine gemeinsame Führung des Radverkehrs mit dem Busverkehr bringt die gleichen Unfallrisiken mit sich wie das Fahren im Mischverkehr - auch wenn das Verkehrsaufkommen deutlich eingeschränkt ist. Die Sichtverhältnisse und Geschwindigkeitsunterschiede werden zu Unfallrisiken.

Eine Übersicht aller weiteren Varianten in aller Kürze:

Betrachtet man alle Varianten, muss man festhalten, dass eine echte Verbesserung für den Radverkehr nur durch die Umwidmung einer Fahrspur im Tunnel zum Zweirichtungsradweg erreicht wird. Die damit verbundenen Einschränkungen des Autoverkehrs sind im Vergleich zum Gewinn für den Radverkehr geringfügig und zumutbar. Die Umwidmung des gesamten Tunnels zum Fahrradtunnel wäre für den Radverkehr selbstverständlich ein noch größerer Gewinn; die damit einhergehenden Einschränkungen für den Autoverkehr jedoch aktuell nicht zumutbar. 

 

Zusammenfassung & Fazit

Eine ganzheitliche Betrachtung aller Lösungsvarianten mit ihren Vor- und Nachteilen macht deutlich, dass ein Zweirichtungsradweg im Flughafentunnel mit alternativer Kfz-Streckenführung die gesamtgesellschaftlich tragfähigste Lösung darstellt. 

  • Sie belastet die öffentlichen Haushalte und damit den Steuerzahler und die Steuerzahlerin in überschaubarem Maße.
  • Sie schafft eine regelkonforme, sichere Verkehrsführung für den Rad- und Fußverkehr im Flughafentunnel.
  • Sie liefert die Grundlage für den Ausbau regionaler Radverbindungen zu Hauptradrouten und Radschnellwegen und damit für die Steigerung des Radverkehrsanteils zwischen Stuttgart und Filderstadt.
  • Sie bietet verschiedene alternative Streckenführungen für den motorisierten Individualverkehr, die geringfügige und zumutbare Umwege und Zeitverzögerungen mit sich bringen.
  • Sie entlastet den historischen Ortskern von Bernhausen vom Durchgangsverkehr und verlagert Verkehre auf Straßen, die Wohngebiete meiden oder weniger stark tangieren.
  • Sie ermöglicht eine Vorrangführung für den ÖPNV und Rettungsdienst.
  • Sie lässt den Stuttgarter Süden und Filderstadt zusammenwachsen und bietet somit Potenziale für die Nahmobilität der Menschen in der Region.
  • Sie entspricht den Prinzipien der Verkehrspolitik für alle Menschen und der Vision Zero.

 

Matthias Zimmermann, Landesvorsitzender des ADFC Baden-Württemberg:

Vor dem Hintergrund der verkehrsrechtlichen Notwendigkeit und dem politischen Willen des Verkehrsministeriums, eine erhebliche Verbesserung für den Radverkehr unter dem Flughafen zu erreichen, ist der Zweirichtungsradweg auf der von Süden nach Norden führenden Fahrspur die einzige Maßnahme mit einem sehr großen Nutzen für den Radverkehr bei gesamtgesellschaftlich am besten vertretbaren Auswirkungen. 

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